• Abenteuer
  • 12 August, 2022

Expedition zum Traumberg – Ama Dablam

Expedition zum Traumberg – Ama Dablam
All photos: Tobias Pantel

Die Ama Dablam – wer kennt ihn nicht, diesen wunderschönen, formvollendeten, beinahe perfekten Berg, das „Matterhorn Nepals“. Prominent und von weit her sichtbar von Namche Bazaar und dem Everest Base Camp Trail, ist dieser Berg ein Wahrzeichen des Khumbu und ganz Nepals. Er hat mit seinen 6814m zwar nicht die Größe anderer Giganten im Khumbu à la Mount Everest, Lhotse, Cho Oyu oder Makalu, doch dürfte er einer der meistfotografierten Berge der Region sein. 

Im Frühjahr 2019 durfte ich teilnehmen an einer internationalen Expedition zu diesem Traumberg. Das Ziel war, über die Normalroute, d.h. über den Südwestgrat, zum Gipfel zu gelangen. Im Frühjahr würden weit weniger Teams am Berg unterwegs sein als in der Herbstsaison, es würde sehr viel ruhiger sein. Allerdings ist auch das Wetter im Frühjahr unbeständiger und die Schneeverhältnisse machen den Aufstieg komplizierter als in der Herbstsaison. 

Mit dem Flugzeug ging es also Anfang April von Kathmandu nach Lukla. Zunächst wanderten wir via Namche Bazar ins Gokyo Tal. Zur besseren Akklimatisierung bestiegen wir an einem eiskalten, aber kristallklaren Morgen den Aussichtsberg Gokyo Ri, von dessen Gipfel wir die spektakuläre Sicht auf die Berge und Gletscher des Khumbu genossen. Über den Cho La Pass ging es anschließend zum Ama Dablam Base Camp auf ca. 4600m. 

Hier richteten wir uns ein in unseren Zelten, und an einem der darauffolgenden Tage kam ein Lama aus dem Tal ins Base Camp zur traditionellen Puja. Bei dieser Zeremonie wird die Erlaubnis von den Göttern für die Besteigung des Berges eingeholt. Die Puja, bei der wir und unsere Ausrüstung gesegnet wurden, ist bei Expeditionen im Himalaya unerlässlich und ist insbesondere für die Sherpas von größter Bedeutung. 

Nach ein paar Tagen im Base Camp begannen wir mit den Rotationen am Berg, um Ausrüstung in die Hochlager zu bringen und um unsere Körper an die dünne Luft zu akklimatisieren. Ich stieg rauf ins erste Hochlager auf 5800m, machte eine lange Pause dort und stieg am Nachmittag wieder runter ins Base Camp. Am nächsten Tag ging es wieder ins Lager 1, diesmal zum Übernachten. Auf diese Weise passten wir unsere Körper immer mehr an die Höhe an. Der Sonnenuntergang in Lager 1 war eines der Highlights der Expedition, das Zusammenspiel von Wolken, Berge und der untergehenden Sonne ist mir stark in Erinnerung geblieben. 

Tags darauf wollten Lhakpa, einer unserer Climbing Sherpas, und ich von Lager 1 ins Lager 2. Diese Etappe ist die technisch anspruchsvollste der gesamten Route, es geht teilweise sehr ausgesetzt und steil rauf ins zweite Hochlager auf ca. 6100m. Besonders das letzte Stück vor Camp 2 hat es in sich: der sogenannte „Yellow Tower“, eine senkrechte, teils überhängende Felspassage, deren Bewältigung in dieser Höhe auf 6000m große Anstrengung bedeutet. Auf der Spitze des Yellow Tower befindet sich das Camp 2, ein Lagerplatz, der an Ausgesetztheit kaum zu überbieten ist. Auf engstem Raum befinden sich hier, vor allem in der geschäftigen Herbstsaison, die zahlreichen Zelte der verschiedenen Teams, teilweise herrscht Platznot. 

Als Lhakpa und ich dort ankamen, waren wir die einzigen, das Wetter zog sich zu und wir gönnten uns nur eine kurze Rast, bevor wir den Abstieg ins Basislager starteten. Es folgte ein Ruhetag im Basislager, ganz im Zeichen des bevorstehenden „Summit Push“, unserem Gipfelversuch. Es wurde noch einmal das Material durchgegangen, Batterien aufgeladen, Kräfte gesammelt und das hervorragende Essen unserer Köche genossen. 

Dann war es endlich so weit: wir brachen auf ins Camp 1. Dort würden wir übernachten, am nächsten weiter ins C2 und tags darauf zum Gipfel. Mittlerweile fühlte ich mich ausreichend an die Höhe akklimatisiert. Der Weg ins C1 war durch die vergangenen Rotationsgänge gutbekannt und schnell bewältigt. Die Abendstimmung dort und der Sonnenuntergang waren wieder spektakulär, es wurden hunderte Fotos und Selfies geschossen. Auch das Stück ins C2 verlief nun schneller als noch beim ersten Mal, die Akklimatisierung zahlte sich aus. Abends wurde Tee gekocht und es gab eine Nudelsuppe, dann ging es früh ins Bett, denn bereits um 2 Uhr in der Früh wollten wir den Gipfeltag beginnen. An tiefen Schlaf war in dieser Höhe und den ungemütlichen Temperaturen sowieso nicht zu denken. 

Unsere Sherpas wollten vorausgehen, sie hatten Seile mit im Gepäck, denn das letzte Stück vor dem Gipfel musste noch mit Fixseilen verlegt werden. Dieses Jahr war noch niemand auf dem Gipfel gewesen, es gab keine ausgetretenen Spuren im Schnee, die unseren Aufstieg erleichtert hätten. Gegen 2:30 Uhr, ca. 30 Minuten nach den vorausgegangenen Sherpas, brachen wir in der Dunkelheit auf. Im Schein unserer Stirnlampen und Millionen von Sternen am Himmel bahnten wir unseren Weg über den Grat, mal mehr, mal weniger ausgesetzt. Ich kämpfte mit jedem Schritt, fühlte mich geschwächt durch die Höhe und Schlafmangel, vielleicht war ich auch dehydriert. Als die Sonne aufging, auf ca. 6200m, entschloss ich mich schweren Herzens, zum C2 umzukehren. 

Im C2 angekommen kam durch das Funkgerät die Nachricht, dass unsere Sherpas, die die letzten Meter Seil am Berg anbringen wollten, ebenfalls auf ca. 6600m umkehren mussten. Unter viel Neuschnee gefrorenes Eis hatte ihren Aufstieg erschwert und stark verlangsamt. Unter diesen gefährlichen Bedingungen machte es keinen Sinn, letztendlich brachen auch meine Teamkameraden ihren Gipfelversuch ab. Ich erholte mich derweil im C2, stärkte mich mit Suppe und Tee, schnell fühlte ich mich wieder besser. Kurze Zeit später trudelten auch die anderen im Camp ein, ebenso wie die Sherpas. Es war noch recht früh am Tag und ich beschloss, ins Basislager abzusteigen. Immer wieder musste ich steile Passagen abseilen, wobei ich mich durchgehend ermahnte, 100% konzentriert zu bleiben, wohl wissend, dass die meisten Bergunfälle beim Abstieg passieren, wenn Kräfte und Konzentration schwinden. 

Am späten Nachmittag erreichte ich das Basislager, unsere Köche empfingen mich mit heißem Tee und einer köstlichen Mahlzeit. Meine Enttäuschung über das Nichterreichen des Gipfels legte sich langsam und ich konnte mich mehr und mehr erfreuen über diese abwechslungsreiche Bergtour, über die vielen Erfahrungen, die ich machen durfte und über die vielen neuen Bekanntschaften, die ich auf diesem Trip schließen durfte. Auf diesem Traumberg unterwegs gewesen zu sein, auf diesem Fleck Erde mitten im Himalaya, in meinem Lieblingsland Nepal, wohlbehalten und gesund wieder im Basislager zu sitzen, hierfür empfand ich eine tiefe Zufriedenheit. 

„Der Gipfel ist optional, gesund wieder zurückkommen ist Pflicht“ – ist ein bekanntes Zitat des amerikanischen Bergsteigers Ed Viesturs. Der Berg wird noch eine ganze Weile hier stehenbleiben und eines weiß ich sicher: ich werde wiederkommen zur Ama Dablam.

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